LkSG: Unternehmen müssen jetzt handeln
Veröffentlicht am 06.06.2023
Seit dem ersten Januar dieses Jahres ist das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz (LkSG) in Kraft. Doch noch immer haben sich deutsche Unternehmen – auch in der Werbeartikelbranche – nicht ausreichend darauf eingestellt. Ein Überblick.
Die Globalisierung der Wirtschaftskreisläufe hat dazu geführt, dass heute rund 80 Prozent des Welthandels auf globalen Wertschöpfungsketten basieren. Über 450 Millionen Menschen sind von diesen Ketten abhängig. Allerdings werden viele Produkte und Rohstoffe unter Bedingungen hergestellt oder abgebaut, die sowohl für die Umwelt als auch für die Arbeitnehmer untragbar sind.
Ein T-Shirt legt heute zum Beispiel etwa 18.000 Kilometer zurück, bis es im Laden liegt. Das ist nicht nur ökologisch bedenklich. So beträgt der Lohnanteil für die Näherin eines Marken-Shirts nur 0,6 Prozent des Verkaufspreises. Dabei steht am Anfang jeder Lieferkette ein Mensch.
Sinnvolles Ziel, umstrittene Umsetzung
Auf diesem Hintergrund muss man die Entwicklung des Lieferkettensorgfaltspflichtengesetzes (LkSG) betrachten, das im Januar in Kraft getreten ist. Es gilt branchenübergreifend zunächst für Unternehmen mit 3.000 und mehr Arbeitnehmern. Ab dem ersten Januar 2024 betrifft es auch Unternehmen mit 1.000 Beschäftigten und mehr.
Das Gesetz soll den Schutz der Menschenrechte entlang der weltweiten Lieferketten verbessern. Konkret soll es die Einhaltung international anerkannter Sozialstandards garantieren, Kinder- und Zwangsarbeit verhindern, sowie für Mensch und Umwelt gefährliche Stoffe verbieten. Die Sorgfaltspflichten von Unternehmen erstrecken sich dabei auf ihre gesamte Lieferkette – vom Rohstoff bis zum fertigen Produkt. Die Anforderungen sind nach dem Einflussvermögen der Unternehmen abgestuft.
Zwingend sind regelmäßige Risikoanalysen des eigenen Unternehmens sowie der unmittelbaren Zulieferer. Bei mittelbaren Lieferanten gilt die Sorgfaltspflicht nur anlassbezogen. Hier müssen Unternehmen nur nachforschen und aktiv werden, wenn sie von Menschenrechtsverletzungen erfahren. Dass die Politik die Verantwortung für die Umsetzung an die Wirtschaft delegiert, ist umstritten. Insbesondere, weil dies auch zu Lasten der Endverbraucher gehen kann, Stichwort Preissteigerungen. Diese können ein Resultat von Umstrukturierungen in Unternehmen oder Veränderungen der Lieferkette sein.
Unterstützende Angebote nutzen
Das Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (BAFA) kontrolliert die Einhaltung des Gesetzes. Grundlage ist ein jährliches Berichtsverfahren und sanktioniert Verstöße. Hierzu muss der von der BAFA erarbeitete Fragenkatalog ausgefüllt und jedes Jahr neu eingereicht und veröffentlicht werden.
Das Gesetz schafft allerdings keine neuen zivilrechtlichen Haftungsregelungen. Es gilt weiterhin die zivilrechtliche Haftung nach deutschem und ausländischem Recht. Das heißt: Ausländische Betroffene können vor deutschen Gerichten auf Schadensersatz klagen. Es wird jedoch das Recht des Landes angewandt, in dem der Schaden eingetreten ist.
BAFA und BMAS bieten weitreichende Unterstützungsangebote zur Umsetzung der Sorgfaltspflichten für Unternehmen an, die ständig aktualisiert werden. Diese sollte man bei aufkommenden Fragen nutzen.
Europäische Lieferkettenrichtlinie noch strenger
Der Ende Februar 2022 vorgestellte Entwurf eines Europäischen Lieferkettengesetzes geht in vielen Punkten noch über die deutsche Gesetzgebung hinaus. Er sieht vor, dass die Sorgfaltspflichten bereits für Unternehmen mit 500 Mitarbeitern und einem Jahresnettoumsatz von 150 Millionen Euro gelten sollen. In Risikobranchen wie der Textil- und Lebensmittelindustrie sind laut Entwurf schon Unternehmen ab 250 Mitarbeitern und einem Umsatz von 40 Millionen Euro betroffen.
Im Sommer 2023 soll die Abstimmung über die Europäische Lieferkettenrichtlinie im Plenum des Europäischen Parlaments stattfinden. Die derzeitigen Entwicklungen zeigen, dass die Position des Parlaments den Vorschlag der Kommission deutlich verschärfen wird. Bereits der Kommissionsvorschlag geht in vielerlei Hinsicht über das deutsche Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz hinaus und wird Unternehmen vor erhebliche zusätzliche Herausforderungen stellen.
Kritik aus der Branche
Seit Beginn des Gesetzgebungsverfahrens kommt immer wieder massive Kritik auf – auch aus der Werbeartikelbranche. Befürchtet werden Auswirkungen auf kleinere und mittlere Unternehmen. Denn auch KMU können durch ihre Vertragsbeziehung zur Einhaltung bestimmter Standards verpflichtet werden. Kritiker sehen das als unzulässige Abwälzung definierter Pflichten auf Vertragspartner. Dabei sind KMU schon länger in der Pflicht.
Die „Leitprinzipien der Vereinten Nationen für Wirtschaft und Menschenrechte“ sowie (in Deutschland) der „Nationale Aktionsplan Wirtschaft und Menschenrechte“ (NAP) gelten für Unternehmen aller Größenordnungen. Industrieverbände kritisieren, dass Unternehmen über ihren eigenen Geschäftsbereich hinaus die gesamte Lieferkette überprüfen sollen. Das kann einen erheblichen bürokratischen und finanziellen Mehraufwand bedeuten.
Je größer der Lieferantenkreis eines Unternehmens, desto höher sind die Belastungen, denen Unternehmen nicht mehr gewachsen sein können. Dies gilt vor allem dann, wenn Unternehmen im eigenen Geschäftsbereich einen Fall von Menschenrechtsverletzung feststellen. Dann müssen sie unverzüglich Abhilfemaßnahmen ergreifen, die zwingend zur Beendigung der Verletzung führen.
Werden Verstöße beim unmittelbaren Zulieferer bekannt, muss das Unternehmen einen konkreten Plan zur Minimierung und Vermeidung der Missstände erstellen, sofern es diese nicht in absehbarer Zeit beheben kann. Daher wird unter anderem die Forderung nach Beschränkung der Sorgfaltspflichten auf die direkten Zulieferer sowie mehr externer Unterstützung laut.
Verzögerte Anwendung erreicht
Der BGA hat gemeinsam mit anderen Spitzenverbänden der deutschen Wirtschaft erheblichen Druck auf die Bundesregierung ausgeübt, um das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz zu verändern oder auszusetzen. Immerhin ist es gelungen, eine verlangsamte Anwendung des Gesetzes zu erreichen. Die Umsetzung mancher Sorgfaltspflichten ist damit verschoben worden.
Bis zum 1. Juni 2024 wird geprüft, ob die Berichtspflichten für das bis dahin abgelaufene Geschäftsjahr erfüllt wurden. Das BAFA hat angekündigt, die Einhaltung des Lieferkettengesetzes bürokratiearm und mit Augenmaß zu prüfen. Dazu gehört auch, dass im ersten Prüfjahr die Mehrbelastung für Unternehmen im Sinne des Angemessenheitsprinzips berücksichtigt wird.
Angesichts der aktuellen politischen Lage und instabiler Lieferketten soll der Start des Gesetzes möglichst anwendungs- und vollzugsfreundlich erfolgen – insbesondere im Hinblick auf die Berichtspflicht. So beinhaltet der Fragebogen über 400 Antwortmöglichkeiten. Im Sinne der Anwender hofft der BGA auf eine Überarbeitung.
Gesetz als Handlungsanstoß
In der aktuellen Debatte wird nicht nur auf Wettbewerbsnachteile betroffener Unternehmen hingewiesen. In der Branche herrscht weitgehend Konsens, dass die Berichtspflicht brisante Themen der Nachhaltigkeitsdebatte ins Blickfeld rückt. Denn: durch das LkSG und die Europäische Lieferkettenrichtlinie müssen sich Unternehmen mit den Themen Menschenrechte, Umweltrisiken und unternehmerische Verantwortung auseinandersetzen.
In diesem Zusammenhang hat eine Studie* ein interessantes Ergebnis geliefert: Auf die Frage, was Firmen überhaupt zur Berücksichtigung von menschenrechtlichen und Umweltrisiken entlang ihrer Lieferketten motiviert, antworteten immerhin 56 Prozent der Befragten, dass sie lediglich auf gesetzliche Zwänge hin tätig würden.
Lieferketten wenig transparent
Diese Studie zur Umsetzung des Gesetzes in deutschen Unternehmen zeigt, dass sich die meisten Unternehmen noch nicht gut aufgestellt fühlen. Obwohl das Gesetz seit Jahresbeginn in Kraft ist, gaben nur etwa vier Prozent der befragten Unternehmen an, dass sie auf der organisatorischen Ebene sehr gut darauf vorbereitet seien. 70 Prozent dagegen sehen sich mittelmäßig bis sehr schlecht aufgestellt.
Obwohl die Daten von Januar stammen, vermitteln sie, wie Unternehmen auf das Thema Menschenrechte und die im Gesetz formulierten Anforderungen reagieren. Als „ernüchternd“ bezeichnet rbb-Autor Jan Wiese, dass nur 13 Prozent der Unternehmen mit mehr als 1.000 Mitarbeitern volle Transparenz haben, wenn es um Risiken wie mögliche Menschenrechtsverletzungen bei ihren unmittelbaren Geschäftspartnern geht.