Temu, Shein und Konsorten
Veröffentlicht am 28.06.2024
Editorial Manfred Schlösser, Chefredakteur PSI Journal
Temu, Shein, AliExpress und Wish sind die großen Player in den Direkt-ab-Werk-Lieferkettenmodellen aus China. Jeder vierte Europäer soll schon bei ihnen bestellt haben. Eine Outdoor-Jacke für 11 Euro, ein In-Ear-Headset für 0,94 Euro, ein Taschenklappmesser für 1,34 Euro oder ein Schnellladegerät für 1,46 Euro. Temu hat mit 16 Milliarden Jahresumsatz fast alle hinter sich gelassen. Thinktanks aus den USA behaupten, dass Temu bei jeder Bestellung 30 Dollar obendrauf zahlt. Nur denkbar, wenn man mit aller Macht und 20 Milliarden Dollar in der Hinterhand Marktmacht aufbauen will.
Zwei Milliarden Zollfrei-Pakete kommen jährlich in die EU. Rund 80 Prozent davon aus Asien, meist aus China. Und an der Stelle mache ich gerne anschaulich, wie groß der Unterschied zwischen einer Million und einer Milliarde ist – auch, weil ich mir das selbst oft vor Augen führen muss: Eine Million Sekunden sind 11 Tage, eine Milliarde Sekunden sind 31,7 Jahre. Oder die Tatsache, dass man fast den Mond erreichen könnte, wenn man eine Milliarde Blätter Papier übereinanderlegen würde. Vor dem Hintergrund kann man sich vielleicht besser vorstellen, wie hoch der Berg von Paketen ist, wenn er zwei Milliarden Pakete hoch ist – kaum vorstellbar. Und alles, was unter 150 Euro wert ist, oder so deklariert wird, segelt unter „zollfrei“ in die Märkte. Denn eine Kontrolle ist bei dieser Anzahl nahezu unmöglich. Die EU will die Wertgrenze erst ab 2028 abschaffen – viel zu spät, sagen auch renommierte Lieferanten der Werbeartikelwirtschaft.
Aber das wirklich Schlimme an der Sache ist, dass in unserer Branche auch schon mit Temu-Billig-Produkten gehandelt werden soll. Gerüchte, üble Nachrede, gehässiger Wettbewerb? Harte Fakten gibt es wieder mal nicht. Aber, wo Rauch ist, da ist oft auch Feuer. Über die Risiken der Bestellungen bei „Shoppen wie Milliardäre“ sollte man sich dringend informieren. Wichtig: Wer seine Kunden mit Temu oder anderen Produkten dieser Billigheimer bedient, wird selbst zum Importeur. Auf ihn geht das Risiko des Produzenten über. Und bei elektronischen Artikeln, und seien sie noch so klein, ist schon oft großer Schaden entstanden.
Aber lassen wir mal Temu und Konsorten außen vor. Zunehmend wird sich in der Branche auch beklagt, dass Werbeartikel ohne jeden Aufschlag, oder nur mit Mini-Marge, an Industriekunden durchgereicht werden. Hierdurch, so die Befürchtung, bleiben langfristig Strukturen und Qualität auf der Strecke. Dabei müsste doch allen, aber auch wirklich allen, in der Branche klar sein, dass wir niemals in Marketing, Werbung und Politik Anerkennung finden, wenn „billig“ unser Aushängeschild wird. Unternehmerischer Erfolg ist erst recht nicht aus diesem Holz geschnitzt.
In diesem Sinne,
Manfred Schlösser, Chefredakteur PSI Journal