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Kriegsfolgen, Lieferengpässe, Inflation: Strategien gegen die Krise

Julia Bernert

Veröffentlicht am 04.10.2022

aus dem PSI Journal 8/9 2022

Die Märkte hatten die Folgen der Corona-Pandemie noch nicht ganz verkraftet, da brach mit dem Ukraine-Krieg ein Ereignis herein, das in vielen Ländern die Konjunktur-Erwartungen erheblich dämpft. Die Redaktion des PSI Journal hat für den Fokusartikel in Ausgabe 8/9 2022 die wichtigsten Zahlen und Fakten führender Wirtschaftsinstitute und -organisationen zusammengefasst.

Rund sechs Monate nach Beginn des Ukraine-Kriegs zeichnet sich ab, wie ernst die Auswirkungen der großen Risikofaktoren Krieg und Sanktionen, Inflation, Lieferengpässe bei Vorprodukten und Rohstoffen sowie anhaltende Logistikprobleme sind. Verschärfend kommen inzwischen Gasknappheit und enorme Energiepreis-Steigerungen hinzu. Insgesamt wirtschaftliche Rahmenbedingungen, die verunsichern und unternehmerische Entscheidungen erschweren. Das sind die Fakten.

EU-Wirtschaft wächst erheblich langsamer

Je länger der Krieg gegen die Ukraine dauert, desto gravierender werden die Folgen und umso ernüchternder die Analysen und Prognosen, wie sich die Konjunktur entwickeln wird. Unter Berücksichtigung der Internationalität des PSI-Netzwerks beachtenswert: die Betrachtung der europäischen und internationalen Ebene. Die europäische Kommission sieht in ihrer letzten Wirtschaftsprognose ein geringeres Wirtschaftswachstum bei gleichzeitig höherer Inflation. Es wird davon ausgegangen, dass die Wirtschaft in der EU 2022 um 2,7 Prozent und 2023 um 1,5 Prozent wachsen wird. Für das Euro-Währungsgebiet steht ein Wachstum von 2,6 Prozent im Jahr 2022 im Raum, das im Jahr 2023 auf 1,4 Prozent zurückgehen dürfte. Den EU-Berechnungen zufolge wird die jährliche durchschnittliche Inflationsrate im Jahr 2022 auf einen historischen Höchststand von 7,6 Prozent im Euro-Währungsgebiet und 8,3 Prozent in der EU klettern, bevor sie 2023 auf 4,0 Prozent bzw. 4,6 Prozent sinkt.

Risiken verschärfen sich

Viele der Abwärtsrisiken, die in der EU-Frühjahrsprognose 2022 erwähnt wurden, sind eingetreten. Dabei hat sich in erster Linie der Druck auf die Energie- und Nahrungsmittelpreise erhöht. Infolgedessen baut sich global weiterer Inflationsdruck auf, die Kaufkraft der privaten Haushalte geht zurück und die geldpolitische Reaktion erfolgt schneller als erwartet. Da der Aufschwung in den USA an Fahrt verliert, rücken die negativen wirtschaftlichen Auswirkungen der von China verfolgten Null-COVID-Politik noch stärker in den Fokus. Insgesamt ist davon auszugehen, dass die EU-Wirtschaft weiter expandieren wird, allerdings deutlich langsamer als in der erwartet. Aufgrund ihrer großen Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen aus Russland ist die EU-Wirtschaft nach wie vor besonders anfällig für Entwicklungen an den Energiemärkten. Gerade die jüngste Drosselung der russischen Gaslieferungen auf inzwischen nur noch 20 Prozent der Kapazität zeigt, wie wir der Willkür der russischen Führung ausgeliefert sind. Die weltweit schwächelnde Konjunktur wirkt sich auch negativ auf die Auslandsnachfrage aus.

Ernüchternde Prognosen für die Weltwirtschaft

Derzeit sieht der Internationale Währungsfonds (IWF) für die Industrieländer ein Wachstum von 3,2 Prozent für das Jahr 2022 und 2,9 Prozent für das Jahr 2023, wobei insbesondere der Euroraum herabgestuft wurde. Zum Vergleich: 2021 hatte die Weltwirtschaft noch um 6,1 Prozent zugelegt, 2020 war sie wegen der Pandemie um 3,1 Prozent geschrumpft. Die USA würden laut Prognose mit 3,7 Prozent im Jahr 2022 innerhalb der G7 am schnellsten wachsen. Für Deutschland rechnen die IWF-Experten nur noch 1,2 Prozent Wachstum. Im Mai war der IWF noch von zwei Prozent Wachstum für die Bundesrepublik ausgegangen. Ende Juli hatten auch die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) wie auch die Weltbank ihre Wachstumserwartungen an die globale Konjunktur deutlich zurückgeschraubt. Für die deutsche Wirtschaft rechnet die Industriestaaten-Gruppe OECD in diesem Jahr nur noch mit 1,9 Prozent Wachstum, anstatt der noch im Dezember prognostizierten rund vier Prozent.

Deutschland stark betroffen

Die vom PSI Journal recherchierten Zahlen kommen vom Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) und beziehen sich nur auf Deutschland. Die Ökonomen des IMK rechnen für 2022 mit einer Zunahme des Bruttoinlandsprodukts (BIP) um 1,9 Prozent. Für 2023 prognostizieren sie ein Wirtschaftswachstum von 2,6 Prozent. Damit veranschlagen sie 0,2 bzw. 0,6 Prozentpunkte weniger als bei der Frühjahrsprognose im März. Weiterhin relativ positiv entwickelt sich der Arbeitsmarkt, auch der Dienstleistungssektor profitiert von Aufholeffekten.

Energiepreise gefährden Produktion

Inzwischen zeichnet sich ab, dass die hohen Energiepreise in Deutschland bereits zu Produktionsproblemen führen. Eine Umfrage des Deutschen Industrie- und Handelskammertags (DIHK) unter 3.500 Unternehmen hat Ende Juli ergeben, dass 16 Prozent der Industriebetriebe ihre Produktion herunterfahren oder Produktionszweige aufgeben müssen. Bei energieintensiven Betrieben lag der Anteil mit 32 Prozent doppelt so hoch. Die Situation vieler Unternehmen könnte sich laut der DIHK-Umfrage im Laufe des Jahres weiter verschlechtern, zumal erst die Hälfte der Industriebetriebe den gesamten Gasbedarf für 2022 über Verträge gedeckt hätten, mehr als ein Drittel der Unternehmen müsse noch über 30 Prozent ihres Gasbedarfs einkaufen. In welchem Ausmaß die Versorgungs- und Preisproblematik bei Energie auch Hersteller von Werbeartikeln trifft, ist abhängig von Branche und Struktur der Fertigung. Offenbar sind viele Unternehmen infolge bisheriger und nun forcierter Investitionen in nachhaltige Technologien recht gut aufgestellt.

Lange Lieferzeiten durch Lieferengpässe

Neben der Energiekrise behindern auch Schiffsstaus und Lieferketten-Probleme die Industrieproduktion und den Welthandel. Laut einer Analyse des Instituts für Weltwirtschaft Kiel (IFW) wird die Entwicklung bei der Industrieproduktion in den kommenden Monaten weiterhin maßgeblich durch die Lieferengpässe bestimmt werden. Zwar sind auch die Auftragseingänge seit Beginn des Krieges im Februar um mehr als 5 Prozent deutlich gesunken, doch bekommen die Unternehmen zurzeit noch mehr Aufträge, als sie abarbeiten können. Der Zeitraum, in dem der Auftragsbestand abgearbeitet werden könnte (Auftragsreichweite), ist etwa im Verarbeitenden Gewerbe seit dem Beginn der Pandemie aufgrund der Lieferengpässe um mehr als 2 Monate gestiegen, was längere Lieferzeiten bedeutet. Vollständig überwunden werden die Lieferengpässe jedoch wohl bestenfalls erst im Verlauf des kommenden Jahres, so dass sie die Produktion noch für geraume Zeit einschränken werden, so das Fazit von IFW-Experte Dr. Nils Jannsen. Insgesamt liegt die Industrieproduktion derzeit noch weit unterhalb ihres Vorkrisenniveaus.

Logistikprobleme schwächen Handel

Wie die Gesprächspartner des PSI Journals betonen, sind Lieferketten- und Logistikprobleme weiterhin ein Störfaktor, der allen Handelsstufen zu schaffen macht. Das bestätigt auch eine Umfrage des Bundesverbands Groß- und Außenhandel (BGA) vom Juni. Demnach geht der Großteil der Befragten davon aus, dass die Verzögerungen entlang der Lieferkette wie z.B. Staus vor großen Häfen, verspätete Güterzüge etc. noch weit in das nächste Jahr hinein – wenn nicht sogar darüber hinaus – den Handelsverkehr beeinträchtigen werden. Viele Unternehmen geben an, dass sie die gleichbleibend hohe Nachfrage nach Waren kaum noch fristgerecht bedienen können. Die Groß- und Außenhändler verzeichnen Mehrkosten von bis zu 50 Prozent durch organisatorischen Mehraufwand wegen kurzfristiger Umdispositionen. Zusätzlich belastend sind Einbußen in der Produktivität, personelle Engpässe durch Krankheiten und Fachkräftemangel, Druck ausgehend von Mitarbeitern, Lieferanten und Kunden sowie ein allgemeiner Vertrauensverlust entlang der Lieferkette.

Abhängigkeiten reduzieren

Schon die Corona-Krise hat gezeigt, wie anfällig die internationale Logistik ist. Als Konsequenz haben viele Groß- und Außenhändler ihre Lieferketten neu ausgerichtet, ergab die BGA-Umfrage weiter. Das bedeutet, dass auf alternative Geschäftspartner ausgewichen wird, zusätzliche Beschaffungs- und Absatzmärkte gefunden und neue Transportrouten genutzt werden. Außerdem arbeiten die Händler an der Verbesserung von Risikoanalyse und Transparenz entlang der Lieferkette. Im Ausblick sind sich die Befragten einig: Das oberste Ziel muss die Reduzierung von zu großen Abhängigkeiten und der Ausbau von Partnerschaften mit weiteren Ländern sein. Wichtige Staaten in Asien, mit denen Handelsbeziehungen ausgebaut werden sollten, sind beispielsweise Singapur, Malaysia, Thailand und Vietnam.

Quellen:
www.statista.com
www.bundesfinanzministerium.de
www.dihk.de
www.boeckler.de
www.germany.representation.ec.europa.eu
www.ifw-kiel.de
www.spiegel.de
www.faz.net

Titelfoto (c) Shutterstock