Astrid Schulte: „Unser Herzstück war immer das Kleinkundengeschäft. Aber das Merch-Thema hat enormes Potenzial.“
Veröffentlicht am 15.07.2024
Aktuell erweitert Berendsohn Werbeartikel sein Portfolio um Merchandising für Großunternehmen. Wir sprachen mit CEO Astrid Schulte über ihre Meilensteine und Visionen für das Traditionsunternehmen.
Sie haben viele Jahre u.a. bei Roland Berger, Cartier und Payback gearbeitet und dabei einiges über die Funktionsweise von Unternehmen gelernt. Was hat Sie besonders geprägt?
Astrid Schulte: „Bevor ich Unternehmerin geworden bin, habe ich viele gute, aber auch negative Erfahrungen gemacht. Als Jahrgang ’65 habe ich in den frühen 90ern angefangen zu arbeiten und viele Strukturen mit Dominanz und Unterordnung kennengelernt. In diesen Systemen waren Menschen meiner Einschätzung nach zu viel mit Politik und Selbstvermarktung beschäftigt, so dass sowohl das Inhaltliche als auch das Menschliche auf der Strecke blieb. Ich selbst habe viele Jahre 80 Stunden pro Woche gearbeitet und fühlte mich oft ausgelaugt und nicht inspiriert. Ich bin sicher, dass solche Systeme nicht das Beste aus Mitarbeitenden rausholen. Ich bin eher überzeugt vom Gegenteil: wenn der Mensch im Mittelpunkt steht, seine Ressource das wichtigste Gut im Unternehmen ist, seine Stärken gesehen und gefördert werden und auf Augenhöhe geführt wird, dann sind die wichtigsten Voraussetzungen für Top Performance erfüllt.“
Das klingt nach einer intensiven Zeit. Was hat Sie schließlich dazu gebracht, Unternehmerin zu werden?
Astrid Schulte: „Irgendwann merkte ich, dass diese Strukturen nicht zu mir passen. Ich wollte selbst anders arbeiten und Unternehmen so gestalten, dass Menschen gestärkt und empowert werden, das Beste aus sich rauszuholen. Ich begann parallel meine ‚innere Karriere‘ und definierte für mich, was mir Erfüllung und Erfolg bedeuteten. In Kombination mit dem Muttersein wurde ich Unternehmerin. Nach zwölf Jahren in meiner ersten Karriere bin ich heute seit 22 Jahren Unternehmerin.”
Können Sie uns mehr über Ihre erste Erfahrung als Unternehmerin erzählen?
Astrid Schulte: „Mit Bellybutton habe ich gelernt, wie großartig es ist, selbst gestalten zu können. Unser Team bestand aus wunderbaren Menschen, die allesamt angezündet waren von der Mission, Frauen in der Situation der Schwanger- oder Mutterschaft zu unterstützen, das Leben leichter und selbstgewisser zu gestalten. Es war befreiend, mich ausschließlich um die Mitarbeitenden und die inhaltlichen Herausforderungen zu kümmern. Es entstand ein Flow, eine Magie, die alle gespürt haben, die mit unserer Marke zu tun hatten. Ich habe so geführt, wie ich selbst gerne in meiner ersten Karriere geführt worden wäre. Bellybutton lief gut, wir haben es dann verkauft, und dann wurde ich Unternehmerin bei der Berendsohn AG.”
Wie war der Übergang zu Berendsohn und welche Veränderungen haben Sie dort vorgenommen?
Astrid Schulte: „Zusammen mit zwei Freunden habe ich die Mehrheit von Berendsohn gekauft und seitdem transformieren wir das 190 Jahre alte Familienunternehmen. Vor 2017 waren wir einige Jahre nicht profitabel, seit 2021 sind wir es operativ wieder. Wir haben in dem Unternehmen vieles ‚auf links‘ gedreht: Eine neue Vision/Mission, ein angepasstes Businessmodell, eine neue Definition von Kooperation und Führung. Zudem haben wir viel digitalisiert. Wir haben jetzt ein erweitertes Angebot an Kunden, verkaufen nicht nur analoge Werbegeschenke, sondern mit Produkten für digitale Sichtbarkeit (Website, Local Listing, SEO, SEA u.v.m.) ganze Marketingkonzepte. Wir bauen zudem einen neuen Geschäftsbereich aus.”
Um welchen neuen Geschäftsbereich geht es?
Astrid Schulte: „Wir übernehmen künftig das komplette Merchandising-Geschäft für große Unternehmen. Wir haben bereits einen Großkunden ongeboarded, ein weiterer noch in diesem Jahr ist in Planung. Dieser Schritt lag sehr nahe, da wir die gesamte Wertschöpfung dafür seit vielen Jahren beherrschen; Von der Auswahl der Produkte, dem Design bis zum Einkauf, bis zur Veredelung und den logistischen Dienstleistungen übernehmen wir alles für die Unternehmen. Damit lösen wir eine große Herausforderung für diese.“
Was genau bieten Sie diesem Großunternehmen an?
Astrid Schulte: „Jedes Unternehmen hat die Herausforderung, Merchandising Artikel zu managen. Mitarbeitende oder Kunden sollen z.B. Welcome Packages bekommen, oder Geschenke zum Geburtstag oder zu Jubiläen. Artikel sollen weltweit abgerufen werden, Mitarbeitende zum Abruf berechtigt werden. Lagerbestände von Merchandising Artikeln müssen zudem verwaltet werden und Nachbestellungen müssen getätigt werden. Wir übernehmen komplett digitalisiert den gesamten Prozess für unsere Kund:innen und nehmen ihnen damit Komplexität, Kosten und Arbeit ab.“
Wie fügt sich das in Ihr bisheriges Geschäftsmodell ein?
Astrid Schulte: „Unser Herzstück war immer das Kleinkundengeschäft, und das bleibt auch der Großteil unseres Geschäfts. Aber das Merchandising-Thema hat enormes Potenzial – auch für größere Unternehmen. Wir nutzen dabei den Großteil der schon genutzten Wertschöpfungskette. Viele Unternehmen haben Agenturen beauftragt oder ihre eigenen Lager voll mit gebrandeten Items, was oft zu wenig Transparenz führt. Dabei sind gebrandete Produkte wichtige Marketing-Tools, die professionell gemanagt werden müssen.”
Können Sie uns Beispiele für die Komplexität im Merch-Management nennen?
Astrid Schulte: „Ein Klassiker sind die o.g. Onboarding-Pakete. Alles muss zusammenpassen, von der Produktauswahl, der Größe bei Textilien, über die Logofarbe bis zum Look and Feel – oft sogar individuell personalisiert. Die Pakete müssen konfektioniert und weltweit zum richtigen Zeitpunkt verschickt werden. In vielen Organisationen müssen Marketing- oder Personalabteilungen diese Dinge manuell verschicken.”
Das klingt nach einem sehr umfassenden Service. Wie reagieren Ihre Kund:innen darauf?
Astrid Schulte: „Die Resonanz ist bisher sehr positiv. Die Möglichkeit, alles aus einer Hand zu bekommen, und die zusätzliche Transparenz und Kostenvorteile, die wir bieten, sind große Pluspunkte. Kund:innen schätzen es, sich nicht mehr um die Details kümmern zu müssen und dabei professionelle und qualitativ hochwertige Produkte zu haben.”
Wie hat sich Ihre Strategie seit der Übernahme 2017 verändert?
Astrid Schulte: „Die Strategie, Berendsohn zum hybriden Marketingdienstleister für analoge und digitale Sichtbarkeit von kleinen und mittelständischen Unternehmen zu machen, hatten wir schon mit unserem Start in 2017. Hinzugekommen sind neue Produkte wie z.B. ein KI Produkt für unsere Kund:innen, das wir dieses Jahr im Herbst launchen. Auch der neue Geschäftsbereich für Großkunden war 2017 noch nicht absehbar. In unserer Transformation sind wir weiter auf dem Weg, Prozesse zu digitalisieren, immer mit dem Fokus gemäß unserer Mission, der ‚beste Partner‘ für unsere Kund:innen zu sein. Darum halten wir auch mit Überzeugung an unserem Direktvertrieb fest; wir sind, wenn der Kunde es wünscht, vor Ort und beraten mit viel Branchen-und Prozesserfahrung, wie eine Marketingagentur, nur günstiger und spezialisierter.“
Wie gehen Sie mit den Herausforderungen um?
Astrid Schulte: „Eine Transformation ist ja immer ein Marathon und kein Kurzstreckenlauf. Es ist wie ein Puzzle, das Teil nach Teil zusammengelegt wird. Die Mitarbeitenden müssen sich ja bewegen und sich verändern, damit sich Businessmodelle tatsächlich verändern; Transformation passiert ja nicht in Powerpoint Präsentationen. Ich bestehe nicht darauf, dass jeder sofort alles verändern muss, es ist immer ein Weg und ein Prozess. Es erfordert Nähe und Vertrauen, die sind ein wichtiger Teil unserer neuen Kultur. Früher hieß es z.B., das Internet sei der Feind des Direktvertriebs, aber jetzt wissen wir, dass Online-Sichtbarkeit essenziell ist. Kund:innen erwarten beispielsweise, Produkte und Preise auf unserer Website zu sehen, auch wenn sie jemanden aus unserem Beraterteam Vorort sehen.“
Wie sieht der hybride Vertrieb in Ihrem Unternehmen genau aus?
Astrid Schulte: „Die Kund:innen können sich beraten lassen, wo und wie sie es wünschen. Also bei einem Besuch durch unsere Berater:innen oder auch via Teams oder per Telefon. Wir sind digital sichtbar und aktiv und können Cross-Channel beraten und verkaufen.“
Was bedeutet Transformation für Sie persönlich und für Ihre Mitarbeitenden?
Astrid Schulte: „Ich weiß, eine Unternehmenstransformation kann nur dann funktionieren, wenn sich auch jeder Einzelne transformiert. Wir in der Unternehmensleitung haben dabei die Verantwortung, die Rahmenbedingungen so zu gestalten, dass sich jeder entfalten und sich nach seinen Stärken entwickeln kann. Es geht darum, dass die Mitarbeitenden Gestalter:innen ihrer eigenen Jobs werden, nicht Opfer von Vorgaben. Wir haben einen Inhouse-Coach, der die persönliche Entwicklung aller Mitarbeitenden fördert. Um das zu fördern haben wir die Organisation deutlich durchlässiger gemacht und Räume für Gestaltung und Resonanz geschaffen. Ich bin überzeugt, dass die Kohärenz, die Menschen in einem Unternehmen empfinden, die wichtigste Voraussetzung für Leistungsbereitschaft und Bindung ist.”
Zum Thema New Work – was bieten Sie bei Berendsohn dazu an?
Astrid Schulte: „Der Gründer von New Work, Frithjof Bergmann, betont, dass Arbeit Menschen stärken und nicht schwächen sollte. Das erreichen wir durch individuelle und nahe Führung. Wir führen jedes Jahr Stärken-Gespräche, um die Menschen in unseren Teams zu sehen, zu verstehen und sie zu fördern. Unser Inhouse-Coach, und manchmal auch externe Coaches, helfen den Mitarbeitenden, ihr eigenes Next Level zu erreichen.”
Wie setzen Sie die Prinzipien von New Work praktisch um?
Astrid Schulte: „Oft wird New Work mit äußeren Rahmenbedingungen wie Remote-Arbeit verbunden. Wir sind sehr offen für solche Lösungen und versuchen, jedem Mitarbeitenden genau das zu bieten, was er sich wünscht. Es geht darum, Rahmenbedingungen zu schaffen, die die individuellen Bedürfnisse und Stärken unserer Mitarbeitenden fördern. Aus eigenen Erfahrungen mit 80 Stunden Wochen in meiner ‚ersten Karriere‘ weiß ich, dass neben der Arbeit ‚Leben‘ stattfinden können muss, sonst brennen wir aus.”
Setzen Sie auch im Vertrieb ein Remote-Konzept um?
Astrid Schulte: „Unsere Vertriebler:innen arbeiten sehr selbstständig. Wir geben Anleitung und haben Reporting-Systeme, aber sie haben viel Freiheit, wie sie die Kund:innen bearbeiten. In Hamburg haben wir etwa 80 Mitarbeiter:innen und ein vollständiges Remote-Konzept. Jeder kann remote arbeiten, wenn er möchte, aber die meisten sind oft im Büro, auch ich bin täglich da, wenn ich nicht reise. Wir haben einen sehr guten Zusammenhalt, ein sehr schönes und inspiriertes Miteinander. Mit Präsenz ist Vieles noch besser erreichbar.“
Was hat die Werbeartikelbranche speziell Ihnen Neues beigebracht?
Astrid Schulte: „Anfangs erschien mir die Werbeartikelbranche etwas altmodisch. Dann habe ich aber schnell erkannt, wie spannend die Branche ist; was kann es Schöneres geben, als eine emotionale Bindung zu Mitarbeitenden und Kund:innen zu schaffen? Es geht um Geschenke, die Emotionalität geben und eine Marke aufladen. Zudem dachte ich anfangs unwissend, Werbegeschenke seien durch Compliance-Beschränkungen nahezu verschwunden. Aber der Markt ist stabil und riesig. Fast alle Unternehmen, klein oder groß, setzen stark auf Werbeartikel als Teil ihrer Marketingstrategie. Das Potential ist riesig.”
Gibt es Aspekte, die Sie überrascht haben?
Astrid Schulte: „Ich fand es interessant, wie stark das Thema Nachhaltigkeit in dieser Branche an Bedeutung gewinnt. Wir haben auf Basis einer umfangreichen Nachhaltigkeitsstrategie unser Sortiment dahingehend angepasst, sodass die Hälfte unserer Produkte bereits heute nachhaltig ist. Anfangs dachte ich, dass wir auch billige Artikel anbieten müssen, um konkurrenzfähig zu bleiben. Aber ich habe schnell gemerkt, dass es vielmehr auf das Gesamtpaket ankommt.”
Was gehört denn zu diesem Gesamtpaket?
Astrid Schulte: „Bei uns erhält man eine umfassende Beratung meistens vor Ort, kuratierte Sortimente und die Möglichkeit, neben unseren exklusiven Produkten auch marktübliche Produkte zu kaufen. Wir bieten aber nicht nur analoge Werbegeschenke an, sondern auch Produkte für digitale Sichtbarkeit. Für die Mitarbeiter- und Kundengewinnung ist es für jedes Unternehmen unerlässlich, auch digital aktiv zu sein. Wir sind quasi eine Marketing-Beratung für kleine Unternehmen, die jede lokale Marketingagentur und jeden Onlinehändler für Werbegeschenke schlägt – dabei wollen wir immer der Serviceleader im Markt sein.“
Wie positionieren Sie sich in der Werbeartikelbranche?
Astrid Schulte: „Unsere Positionierung ist klar: Wir sind der ‚beste Partner‘, wenn es um analoge und digitale Sichtbarkeit geht, uns das für kleine und große Unternehmen. Das ist unser Wesen, und ich bin überzeugt, das Gesamtpaket stimmt. Wir wachsen jedes Jahr um mindestens zehn Prozent, das gibt unserer Positionierung recht.“
Eine letzte Frage zum Thema Abschreibungsgrenzen: Welche Dynamik beobachten Sie seit der Anhebung der Freigrenze von 35 auf 50 Euro?
Astrid Schulte: „Die Sensibilität ist definitiv vorhanden, vor allem bei kleinen und Kleinstunternehmen. Das Steuerliche ist oft ein Stressfaktor, nicht nur wegen der fehlenden Abschreibungsmöglichkeiten, sondern auch wegen der zusätzlichen Notwendigkeit, alles genau zu deklarieren. Unsere Kund:innen haben immer darauf geachtet, und deshalb haben wir früher kaum Produkte über der alten Grenze angeboten, weil sie schwerer zu verkaufen waren.”
Und jetzt, nach der Anhebung der Grenze?
Astrid Schulte: „Wir bieten jetzt mehr Produkte über der neuen Grenze an und sehen, dass sie gut angenommen werden.”