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Strukturuntersuchung des Groß- und Außenhandels: Fachkräfte sind entscheidend

Julia Bernert

Veröffentlicht am 19.07.2023

Der Großhandel und die B2B-Dienstleistungen stehen vor großen Herausforderungen. Zu den Hintergründen hat der Bundesverband Großhandel, Außenhandel, Dienstleistungen e. V. (BGA), eine Strukturuntersuchung durchgeführt. Vier zentrale Themen standen im Mittelpunkt der gemeinsamen Umfrage von BGA, der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft Deloitte und der Unternehmensberatung Roland Berger: die strategischen und operativen Herausforderungen, die Digitalisierung sowie der Krieg in der Ukraine und seine Folgen. Die Redaktion des PSI Journals mit einer Zusammenfassung.

Versäumnisse bei Fachkräften

Aus strategischer Sicht traten besonders der Fachkräftemangel, instabile Lieferketten und Digitalisierung in den Vordergrund, wobei die Fachkräfteverfügbarkeit aus Sicht der Befragten die wesentliche strategische Herausforderung ist. Die Ursache dieses Problems se­hen die Befragten in der Vergangenheit, namentlich in der lange versäumten ausreichenden Aus­ und Weiterbildung unter anderem von Sachbearbeitern und Logistikern. Um diesem Missstand zu begegnen, arbeiten nach eigenen Angaben rund 80 Prozent der Befragten aktiv daran, die Verfügbarkeit von Fachkräften sicherzustellen.

Instabile Lieferketten

Als zweite „hohe bis sehr hohe strategische Herausforderung“ haben neun von zehn Befragten (92 Prozent) instabile Lieferketten identifiziert. Die Hälfte der befragten Unternehmerinnen und Unternehmer ist der Meinung, dass die Lieferketten ihrer Branche für die Zukunft lückenhaft aufgestellt sind. Dabei sehen Großhändler*innen und B2B­ Dienstleister*innen die Anpassung des Lieferkettengesetzes mehrheitlich als größte regulatorische Herausforderung der näheren Zukunft. Dazu kommt der zunehmende Druck, Lieferketten nachhaltig zu gestalten. So stufen aktuell fast zwei Drittel der Befragten die Priorität der Themen Nachhaltigkeit und Umweltschutz in der Unternehmensführung als hoch ein.

Digitalisierung als Herausforderung

Eine weitere strategische Herausforderung des Großhandels und der B2B­Dienstleistenden bleibt der Online-­Vertrieb. Das hieraus erwartete Wachstum schätzen etwa 30 Prozent der Befragten als sehr stark ein. Bei den B2B­Dienstleistern ist diese Erwartung deutlich schwächer. Nach Einschätzung von Experten trägt das dazu bei, die Grenzen zwischen den verschiedenen Wirtschaftsstufen weiter verschwimmen zu lassen. Künftig könnten andere Sektoren „klassische“ Aufgaben des Groß­ und Außenhandels übernehmen. Für den Groß­ und Außenhandel bedeutet dies, seine Rolle neu zu definieren. Daher spielt das Angebot von Service­ und Beratungsleistungen für drei Viertel der Befragten eine hervorgehobene Rolle. Es gilt, langfristig wirksame Lösungsansätze zu den genannten Handlungsfeldern zu finden und die Wettbewerbsfähigkeit zu sichern.

Beschaffung weniger planbar

Operativ sind Beschaffung und Einkauf für den Großhandel weniger planbar. Grund dafür seien unter anderem Reibungen in internationalen Lieferketten, Personalmangel in der Abfertigung und in der Logistik sowie Stillstände an den Häfen. Gerade in der aktuell sehr komplexen Krisensituation erfordere eine Optimierung der Bestände jedoch Fingerspitzengefühl und müsse gegebenenfalls der Aufrechterhaltung der Lieferfähigkeit untergeordnet werden. Entscheidend sei,  den richtigen Zeitpunkt zu finden, um Bestandsgrößen und ­steuerung wieder auf den „Normalmodus“ umzustellen. Etwa 83 Prozent der Befragten bereitet der starke Anstieg der Einkaufspreise Sorge. Diese ließen sich nur abgefedern, wenn sie überwiegend an die Kunden weitergeben würden. Bei 53 Prozent der Befragten war und ist dies vollständig möglich, bei 46 Prozent zumindest teilweise.

Branche für Bewerber attraktiver gestalten

Operative Herausforderung erkannt, Probleme gebannt? Keineswegs. Bei der Umsetzung entsprechender Maßnahmenprogramme sehen die Unternehmen des Groß-­ und Außenhandels wesentliche Hindernisse. Namentlich sind dies in aller erster Linie Fachkräftemangel (82 Prozent), fehlendes Know­how in der bestehenden Belegschaft (31 Prozent) sowie nicht vorhandene finanzielle Ausstattung (18 Prozent). Vor allem mit Blick auf den Fachkräftemangel sei es die wesentliche Aufgabe, den Groß­ und Außenhandel als Ziel­Branche für Bewerber attraktiv zu gestalten. Unter dem Strich sind die Anforderungen an das Management in dieser angespannten Situation größer geworden.

Bei Digitalisierung Belegschaft mitnehmen

Bleibt die Frage zum Thema Digitalisierung. In den vergangenen Jahren hat ein überwiegender Teil der Befragten zwar bereits Digitalisierungsmaßnahmen umgesetzt. Relevanz und Themenspektrum haben sich jedoch gerade in jüngster Zeit verschoben, etwa die Automatisierung der Abwicklung, Auftrags­ und Bestellabwicklung, Cyber Security sowie perspektivisch auch die Preisgestaltung mithilfe künstlicher Intelligenz. Auch wenn die Digitalisierung als Managementaufgabe gilt, kommt es darauf an, die Beschäftigten bei der Umsetzung entsprechender Maßnahmen „mitzunehmen“.

96 Prozent der Befragten schätzen die Einbindung und Motivation der Belegschaft bei der Konzeption und Umsetzung von Digitalisierungsmaßnahmen als positiv bzw. sehr positiv ein. In diesem Kontext zeigt sich jedoch auch ein konkretes Problem: frustrierte Mitarbeitende durch generell gestiegenen Zeit-­ und Arbeitsdruck – auch durch digitale Arbeitsmittel und Medien. Die Kundenbeziehung sich jedoch nicht vollständig Digitalisieren – gerade hinsichtlich der Beratung in Zeiten der Unsicherheit. Zudem mache die Digitalisierung die Differenzierung im Wettbewerb schwieriger. Daher ist es wichtig, dass sich die Unternehmen im Wettbewerbsumfeld frühzeitig Alleinstellungsmerkmale erarbeiten.

Politische Unterstützung gewünscht

Mit dem Krieg in der Ukraine erhöhen sich die Unsicherheiten für weite Teile des Sektors. Eine Mehrzahl der Befragten gab an, dass ihr Geschäft durch den Krieg betroffen sei – insbesondere im Hinblick auf steigende Einkaufspreise und Kosten in Anbetracht der Energiekrise. Das erfordere eine Umstellung von Beschaffung und Einkauf, eine stärkere Nutzung von Einsparpotenzialen sowie ein energieeffzienteres Wirtschaften.

Deutlich wurde jedoch auch, dass sich Unternehmen eine politische Flankierung oder Unterstützung wünschen, um die Auswirkungen des Ukraine-­Krieges wirtschaftlich zu bewältigen. Sinnvoll seien finanzielle Anreize, um in Energieeffzienz und -­erzeugung zu investieren, Entlastungen bei Steuern und Sozialversicherungsbeiträgen sowie ein Abbau von Bürokratie und Beschleunigung von Genehmigungsverfahren.

Perspektivische Personalpolitik erforderlich

Der Handel mit Gütern ist auch in Zukunft eine zentrale Säule der Wirtschaftsstruktur in Deutschland. Geschäftsmodelle und ­-prozesse werden sich jedoch weiter verändern. Vorausschauend handelnde Unternehmen seien deshalb gut beraten, ihre Stärken und Schwächen eingehend zu analysieren und hierauf aufbauend Strategien zu entwickeln und operative Maßnahmen vorzunehmen, um ihre Marktposition in einem sich ändernden Geschäftsumfeld zu erhalten und zu stärken.

Neben Dienstleistungen wie Beratung und Finanzierung stehen innerbetriebliche Optimierungen beim Working Capital auf der Agenda. Die Digitalisierung von Geschäftsprozessen, von Beschaffung, Lagerung und Vertrieb, von Transport und Logistik wird die Modernisierung der Administration ergänzen. Die Ausrichtung von Anforderungen der Nachhaltigkeit kann zudem ein wichtiger Wettbewerbsvorteil werden. Entscheidend für die Fortentwicklung des Groß-­ und Außenhandels wird die Sicherung der Versorgung mit Rohstoffen, Vorleistungen und anderen Gütern und somit die Bewältigung aktueller Engpässe und erhöhter Kosten bei der Versorgung von Wirtschaft und Verbrauchern sein.

Die Reduktion von Abhängigkeiten, insbesondere durch Diversifikation und Digitalisierung, ist ein wichtiger Schritt zur Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit. Über allem steht jedoch die langfristige Sicherung der benötigten Arbeits­- und Fachkräfte. Um die vielfältigen Herausforderungen zu meistern, bedarf es einer perspektivischen Personalpolitik, in deren Mittelpunkt Aus­ und Fortbildung zur beruflichen Fortentwicklung von Know­how im Groß­- und Außenhandel steht.

Über die Studie:
Die Strukturuntersuchung erfolgte in einer Kooperation der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft Deloitte GmbH, der Unternehmensberatung Roland Berger GmbH und dem Bundesverband Großhandel, Außenhandel, Dienstleistungen e. V. Die dieser zugrunde liegende gemeinsame Umfrage wurde im Zeitraum vom 2. bis 30. Mai 2022 durchgeführt. An der Umfrage konnten neben einem Pool an Unternehmen des Groß- und Außenhandels sowie der B2B-Dienstleister Mitgliedsunternehmen
aus den im BGA engagierten Branchen- und Fachverbänden sowie den Landes- und Regionalverbänden teilnehmen. Insgesamt wirkten rund 180 Unternehmen verschiedenster Rechtsformen und Unternehmensgrößen aus dem gesamten Bundesgebiet mit.

Quelle: PSI Journal 6/2023