Transformation ohne Widerstände? Statt auf die Brechstange setzt Astrid Schulte auf Geduld und Vertrauen
Veröffentlicht am 22.07.2024
Wir sprachen mit Berendsohn Werbeartikel CEO Astrid Schulte über Transformation im Unternehmen und im persönlichen Leben, über Klischees rund um Elternpflichten und Selbstwirksamkeit statt Opfer-Mentalität.
Können Sie uns einen Einblick in Ihre Tätigkeit als Female CEO geben?
Astrid Schulte: „In erster Linie bin ich CEO, und dann bin ich auch eine Frau. Ich habe bestimmt einen Führungsstil, der eher Frauen zugesprochen wird, den aber mittlerweile auch viele Männer haben. Ich finde es wichtig, nicht Rollen- oder Geschlechterklischees zu folgen, sondern genau den Führungsstil zu entwickeln, der zu mir, zum Team und zu dem Unternehmen passt. Ich habe als CEO die Aufgabe, dem Unternehmen zu dienen und die Mitarbeitenden so zu führen, dass das Unternehmen wirtschaftlich erfolgreich ist und die Menschen ihr Bestes geben. Das tun sie meiner Erfahrung nach aber nur, wenn sie gesehen und gefördert werden und wenn die Rahmenbedingungen stimmen. Es geht nicht um mich, ich muss auch niemand sein und nichts darstellen. Es geht vor allem um die Menschen in unserem Unternehmen.“
Wie wichtig ist es für Sie, als CEO im Unternehmen zu arbeiten?
Astrid Schulte: „Ich kann durch meine Position wirksam gestalten, das ist genau das, was ich mir wünsche. Meine Aufgabe sehe ich darin, Menschen zu entwickeln, und selbst als Vorbild voranzugehen. Gerade in einer Transformation habe ich als CEO eine zentrale Rolle: Ich muss jede und jeden einzelnen für die Veränderung inspirieren, immer das große Ziel im Auge haben, klar Erwartungen und Ergebnisse kommunizieren und Nerven und Zuversicht behalten, auch wenn es mal Rückschläge gibt. Und ich muss als Role Model vorangehen. Wenn ich nicht an das glaube, was wir tun und erreichen wollen, glauben die Mitarbeitenden auch nicht daran. Es wird oft gesagt, man sollte als CEO nur ‚am‘ Unternehmen arbeiten, aber oft ist es auch erforderlich, ‚im‘ Unternehmen zu arbeiten. Je nach Situation ist beides unerlässlich, zumal in Unternehmen unserer Größenordnung.“
Wie müssen wir uns Ihre Arbeit im Unternehmen vorstellen?
Astrid Schulte: „Mit einem kleinen Steering Committee treffe ich die strategischen Entscheidungen im Unternehmen. Die Strategie steht seit 2017, wird aber mit sich ändernden Bedingungen immer wieder leicht angepasst. Diese Strategie ist in Teilstrategien pro Unternehmensbereich eingeteilt. Das stellt sicher, das alle Tätigkeiten im Unternehmen in die gleiche Richtung gehen und der gleichen Strategie folgen. Über das OKR Konzept (Objectives and Key Results) tracken wir die Zielerreichung und die Maßnahmen. Ich treffe die führenden Personen der einzelnen Bereiche jede Woche, um Sparring zu sein und Zwischenergebnisse zu diskutieren. Ich leite zudem den Vertrieb international selbst, natürlich in Zusammenarbeit mit Führungskräften. Der Vertrieb ist das Herzstück unseres Unternehmens, und ich glaube, dass die Leitung somit Vorstandssache ist. Ich sehe viele unserer Vertriebsmitarbeitenden regelmäßig, weil Vertrieb durch Nähe und Verbundenheit funktioniert. Es ist mir wichtig, physisch präsent zu sein und die Menschen direkt zu treffen. Nach Corona, wo alles nur per Teams lief, habe ich gemerkt, dass physisches Zusammensein unersetzbar ist. Unser Direktvertrieb wurde von der Krise stark getroffen. Jetzt sehe ich die meisten Mitarbeitenden etwa zweimal im Jahr, die Führungskräfte fast jeden Monat. Ich bin regelmäßig in den größten Märkten unseres Unternehmens, Deutschland, Italien und Österreich unterwegs, um zu verstehen, was die Leute dort bewegt.”
Welche Rolle spielt dabei Ihre persönliche Nähe zu den Mitarbeitenden?
Astrid Schulte: „Nähe ist entscheidend. Unsere Transformation wäre ohne das Grundvertrauen der Mitarbeitenden in mich nicht möglich gewesen. Ich bin als CEO sichtbar und erkläre die Prinzipien meiner Führung und unserer Strategie im Großen und Kleinen. Ich gebe ihnen die Zeit, die sie brauchen, um sich anzupassen. Es geht darum, die Transformation nachhaltig und zukunftsfähig zu gestalten, nicht mit der Brechstange, sondern mit Geduld und Vertrauen.“
Wie hat sich Ihre Perspektive verändert und wie wirkt sich das auf Ihr Führungsverhalten aus?
Astrid Schulte: „Ich habe für mich erkannt, wie wichtig Kohärenz im eigenen Leben ist. Kohärenz ist der Zustand, in dem das persönliche, familiäre und berufliche Leben zusammenpasst, wo das Denken, Fühlen und Handeln im Einklang ist. Für mich ist elementar, dass gerade das berufliche Umfeld zu mir und meinem Leben passt, zu meinen Zielen, meinen Werten, meinen Vorstellungen von Erfüllung. Diese Kohärenz möchte ich auch den Menschen in unserem Unternehmen ermöglichen. Dafür muss ich mit meinem Team die richtigen Rahmenbedingungen setzen. Dabei ist für mich eine nahe und individuelle Führung wichtig. Jeder Mensch braucht und wünscht sich individuelle Führung. Wir müssen uns auf verschiedene Mitarbeitergruppen und deren Anforderungen einstellen und verstehen, wie wir ihnen begegnen können, so dass Menschen fähig und bereit sind, ihr Bestes zu geben. Das ist um so entscheidender für Unternehmen in der Transformation, deren Herausforderungen und Perspektiven sich laufend ändern. Wir können unterstützen und Rahmenbedingungen schaffen, aber die Bereitschaft zur Transformation muss von jedem Einzelnen kommen – jeden Tag aufs Neue.”
Ist Transformation Ihr Leben?
Astrid Schulte: „Mein Leben war immer von Wandel geprägt. Transformation ist kein einmaliges Ereignis, sondern meist ein kontinuierlicher Prozess. Im Unternehmen ist es genauso: Nach einer Transformation ist nicht alles für die nächsten zehn Jahre gut. Es gibt immer wieder Perspektivwechsel, neue Blickwinkel auf Dinge und Menschen. Ich versuche, meine Mitarbeitenden zu ermutigen, Wandel als etwas Positives zu sehen, und bei vielen kommt das auch an. Ich selbst bin sehr von Neugierde geprägt. Veränderungen waren in meinem Leben fast immer die Veränderung zu etwas Besserem, deshalb ist bei mir das Wort Transformation sehr positiv belegt.”
Welche Rolle spielen eigene Werte für die Karriereplanung?
Astrid Schulte: „Früher war mir die Bedeutung von Werten nicht so klar, ich habe Entscheidungen oft nach äußeren Kriterien oder aus dem Bauch getroffen. Ich habe nach meiner Konzernkarriere mal ein intensives Werte-Coaching gemacht. Das war ein echter Gamechanger für mich. Rausgekommen sind fünf Werte, die für mein persönliches, familiäres und berufliches Leben nicht verhandelbar sind. Diese Werte sind heute mein Gerüst für Entscheidungen. Zum Beispiel sind Freiheit und Selbstbestimmung wichtige Werte für mich. Ich habe auch nach äußeren Kriterien großartige Jobs in Konzernen ausgeschlagen, weil ich dort nicht die Gestaltungsmöglichkeiten und die Freiheit gehabt hätte, die mir wichtig sind. Ich bin durch und durch Unternehmerin, das habe ich klar erkannt. Als ich meine fünf Werte definiert hatte, konnte ich in Retrospektive auch verstehen, warum Menschen oder auch berufliche Stationen mir in der Vergangenheit gut oder nicht gutgetan haben.“
Wie beeinflussen diese Werte Ihre Führung bei Berendsohn?
Astrid Schulte: „Bevor wir die Entscheidung für die Zusammenarbeit getroffen haben, habe ich mit der Inhaberfamilie über Werte und die Grundpfeiler unserer Zusammenarbeit gesprochen. Zudem haben wir noch vor der Entscheidung die Spielregeln definiert, die in unserer gemeinsamen Zukunft gelten sollen. Als ich bei Berendsohn angefangen habe, habe ich auch meinen Mitarbeitenden meine Werte offengelegt. In Einzelgesprächen (100 Gespräche in den 100 ersten Tagen) habe ich auch die Mitarbeitenden ermutigt, dasselbe zu tun. Das hat sehr geholfen, die Menschen im Unternehmen zu verstehen. Meine Werte helfen mir jeden Tag, bewusst Entscheidungen zu treffen und meine Arbeit zu gestalten.“
Haben Sie Tipps für Eltern, die ebenfalls berufliche Ambitionen haben?
Astrid Schulte: „Erstens, man ist wirksamer, als man denkt. Viele glauben, dass Elternpflichten ein Problem sind, aber das ist totaler Irrglaube. Es gibt viele Gründe, warum man mal mehr und mal weniger arbeiten kann – sei es eine kranke Mutter oder ein persönlicher Traum, den man verwirklichen möchte. Ein Arbeitgeber sollte sich darauf einstellen. Zweitens, flexible Arbeitszeiten können sehr hilfreich sein. Wir haben Mitarbeitende, die ihre Arbeitszeiten je nach Lebenssituation anpassen. Zum Beispiel gibt es eine Mutter bei uns, die mal Vollzeit und dann wieder Teilzeit arbeitet, je nach Bedarf. Drittens, man sollte nicht zögern, eigene Vorschläge zu machen. Die meisten Arbeitgeber sind offener für flexible Lösungen, als man denkt.
Wichtig ist, dass wir als Eltern nicht immer alles perfekt machen müssen. Auch ich bin anfangs in diese Falle gelaufen. Besser ist zu akzeptieren, dass nicht alles in jeder Situation geht; Es ist nicht schlimm, wenn ich nicht gleichzeitig um 9 Uhr im Büro sein kann in einer super Karriereposition, mittags mit meinen Kindern essen und nachmittags noch eine Yogasession einschieben kann. Wir dürfen uns nicht zu viel unter Druck setzen und sollten das Leben mehr genießen.“